Detektiv Parker
Der Weckruf meines Handys war unerbittlich, grausam und unbarmherzig pünktlich.
Sieben Uhr!
Nach einer solchen Nacht!
Nelly war unersättlich gewesen!
Ich hasste mein mobiles Telefon!
Einen Augenblick lang, dann wurde mir bewusst, welchen Wert es doch hatte.
Warum ich es brauchte.
Warum es mich geweckt hatte.
Meine süße Nelly lag noch schlafend neben mir.
Sie hatte den Weckruf nicht gehört.
Ich stand auf und schlug mir erst eine Ladung kalten Wassers ins Gesicht und schlürfte dann vorsichtig an einer Tasse heißen Kaffees.
Es war jetzt zwanzig nach sieben.
Ich rief vom Haustelefon Vince an und fragte ihn, wie es um die Beschaffenheit der Telefonleitung stand.
Es war zum Glück eine der altmodischen, einfachen, in deren Vermögen es nicht stand, die eigene Rufnummer mit zu übermitteln.
Gut für mich, denn so konnte ich meinen alten Herrn inkognito anrufen.
So konnten sie wenigstens nicht ermitteln, von wo aus ich anrief.
Sicher, mit einer Fangschaltung. Aber würde er die initiieren?
Ich erzählte Vincent von unserem nächtlichen Treffen mit dem Boten meines alten Herrn und unterrichtete ihn davon, was ich in einer halben Stunde zu tun gedachte.
Mein Freund war zwar nur widerwillig einverstanden, weil er, genau wie ich, eine Falle vermutete, aber was wollten wir machen?
Er versprach, bis neun Uhr bei uns zu sein.
Ok. Noch eine Viertelstunde.
Ich war gespannt.
17.
„Das ist alles, was wir herausgefunden haben, Boss.“
„Zeig her!“
Der Boss wühlte in den Blättern, die ihm sein Schnüffler übergeben hatte.
Darin stand der gesamte Lebenslauf des Mannes, über den er so schnell wie möglich, so viel wie möglich in Erfahrung bringen wollte.
Auf einer Seite blieb er hängen.
Sie benannte Freunde in und um San Francisco.
Da waren mehrere aufgelistet, die in Los Angeles lebten.
Vier, um genau zu sein.
„Die hier. Die überprüft ihr. Nehmt so viele Leute, wie ihr braucht.
Ich will morgen wissen, wer welchen Job hat, wo wer wohnt, mit wem, ob er diesen Bastard versteckt und so weiter.
Ich will wissen, wann wer zur Arbeit geht, wann wer wiederkommt, wann wer welchen Furz gelassen hat. Habt ihr mich verstanden?“
Der Boss war mehr als schlecht gelaunt. Nie hatte ihm ein einzelner Mann so übel mitgespielt. Nie war er so von obern herab und respektlos behandelt worden.
Das musste ein Nachspiel haben.
Ein Gewaltiges.
18.
Noch zehn Minuten. Ich trank bereits meinen zweiten Kaffee. Nelly war immer noch nicht aufgestanden. Sollte sie ruhig ausschlafen. Sie hatte es sich verdient.
Und wenn ich darüber nachdachte, was uns erwarten könnte, dann sollte sie eigentlich schlafen, bis der nächste Tag kam. Die nächste Zeit würde reichlich turbulent werden, davon war ich überzeugt.
Noch acht Minuten.
Ich war gespannter.
19.
„Guten Morgen, Mr. Parker. Ich habe ihnen die frühen Termine gestrichen, wie sie es wünschten. Es ist jetzt sieben Uhr dreiundfünfzig.
Ihr Kaffee!“
Jonathan konnte seinen Sekretär nicht ausstehen.
Der war ein Schleimbeutel, Arschkriecher und Jasager.
Er fragte sich jedes Mal, wenn es sein Django einmal wieder auf die Spitze trieb, mit seiner Lobhudelei, warum er nicht einfach, wie fast jeder, eine Sekretärin eingestellt hatte.
Scheiß auf die Bedenken, die eine Frau in diesem Job, eng an seiner Schulter, mit sich brachten.
Parker sen. ließ sich den Kaffee in die Hand drücken und schloss mit dem Fuß seine Bürotür.
Er hatte Emilio, seinen Sekretär, bereits gestern angewiesen, dass nur ein einziger Anruf durchgestellt werden dürfe.
Ansonsten wünschte er null Störungen.
Ruhe!
Unendliche Stille!
Wie wohltuend nach dem Lärm der Straße, nach dem Stimmenorkan in der Empfangshalle seiner Firma.
Nach dem Gefasel des piepsigen Emilio.
Er machte es sich auf seinem Sessel bequem und schaute auf die Uhr.
Noch vier Minuten.
Wie er seinen Sohn kannte, würde der pünktlich sein.
Punkt um Acht würde das Telefon klingeln.
Seine Nachricht hatte sein Sohn erhalten, dass hatte sein Bote ihm mitten in der Nacht mitgeteilt.
Noch drei Minuten.
20.
Noch zwei Minuten.
Ich war zum Zerreißen gespannt.
In zwei Minuten würde ich das erste Mal seit vielen Jahren meinen Vater hören.
Und ich war sicher, dass ich Neuigkeiten zu hören bekommen würde, die unbedingt etwas mit meiner, unserer Situation zu tun haben mussten.
Noch eine Minute.
Es gab nichts, was ich mehr hasste, als Unpünktlichkeit.
Ich stellte mir vor, wie mein Vater jetzt in seinem protzigen Ledersessel saß, eine Tasse Kaffee schlürfte und dabei die erste Zigarre des Tages rauchte.
Wie er sich genüsslich und mit zufriedenem Gesicht ausmalte, dass meine jetzige Lage nur meinem eigenen Unvermögen geschuldet war.
Doch darüber konnte ich nur lachen.
Ich hatte den Job, den ich wollte.
Acht Uhr!
Ich wählte seine Nummer.
Es rief...
Nicht.
21.
„Guten Morgen, John.“
„Guten Morgen, Larry. Ich habe das Gefühl, dass uns heute etwas Großes bevorsteht.“
„Wie meinst du das?“, hustete Larry seine Antwort.
Er hatte John Turner schon lange nicht mehr so gelöst erlebt.
„Punkt um Acht heute morgen, also in zehn Sekunden, wird es ein Beben geben, das San Francisco noch nie erlebt hat.
Die Presse wird sich über ihren Informanten mehr als das Maul zerreißen.“
Larry schaute auf seine Uhr, war sich nicht sicher, ob er verstand, was John da redete.
Seine Uhr zeigte den Sekundenzeiger auf zwei Sekunden vor Acht.
Als er auf der Zwölf angekommen war, gab es einen ohrenbetäubenden Knall und das gesamte Gebäude bebte. Die Fensterscheiben bekamen Risse. Utensilien fielen von Turners Schreibtisch.
Wenige Sekunden dauerte das, dann war der Spuk vorbei.
„Was zum Henker...“
John hatte sich an seinem Schreibtisch abgestützt und hechtete nun zum Fenster.
Als er hinuntersah, sträubten sich seine Nackenhaare.
„Oh, mein Gott...“, hörte Larry nur, bevor er selbst zum Fenster ging.
22.
Noch zwei Sekunden, dann würde sein Sohn anrufen. Da war sich Jonathan sicher.
Noch eine.. Acht Uhr.
Doch statt des Klingelns des Telefons erlebte der Chef der Konkurrenzfirma Turners dasselbe wie sein Widersacher.
Ungläubig, unsicher, womit er es hier zu tun haben könnte, ging er zum gesprungenen Fenster.
Und schaute zweifelnd nach unten.
Was er sah, ließ ihn, den unerschütterlichen Kämpfer an seinem Verstand zweifeln.
Eine dicke schwarze Rauchwolke quälte sich fett zwischen den beiden Bürotürmen nach oben.
Zwischen den Qualmfetzen konnte er verletzte und leblos daliegende Menschen erkennen.
Nach einigen Sekunden begann erst Ärger, dann Verzweiflung und dann Wut in ihm aufzusteigen.
Die Wut steigerte sich noch, als er erkannte, dass einige seiner Männer unter denen zu sein schienen, die leblos am Boden lagen.
Fassungslos, haltlos, bar jedes vernünftigen Gedankens, ging er zu seinem Schreibtisch zurück und zog die unterste Schublade auf.
Das kalte Metall der Pistole gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, des Vertrauens.
Mit hochrotem Kopf, aber keine Mine verziehend, verließ er sein Büro.
23.
Fassungslos stand Turner an seinem Fenster. Larry, der gerade dazukam, schüttelte den Kopf.
Turner konnte an der Kleidung erkennen, dass mindestens zwei seiner Männer ihr Leben verloren haben mussten.
Aber er sah auch Leute von Parker in ihren für sie typischen blauen Anzügen liegen.
Seine Leute erkannte er an der schwarzen Farbe ihrer Dienstbekleidung.
Das war zuviel.
Zwei, drei Sekunden nachdem er festgestellt hatte, was da unten vor sich gegangen war, ging er zu seinem Schreibtisch und zog die unterste Schublade auf.
Der Revolver, der darin lag, war stets geladen und entsichert.
Man wusste ja nie, wer da im nächsten Moment durch die Tür kam.
Wortlos verließ er das Büro, während Sanders keinerlei Notiz vom Tun Turners nahm.
Er starrte nur fassungslos nach unten.
Ein Krater von vielleicht fünf oder sechs Metern Durchmesser verunzierte den kleinen Platz zwischen den Bürohäusern.
Dicker, schwarzer Rauch stieg immer noch auf. Er rührte von den beiden Wagen her, die brennend, keine fünf Meter neben dem Loch im Boden standen.
Die einzigen Worte, die Sanders zu diesem Zeitpunkt in seinem Kopf formen konnte, waren: Eine Bombe.
Eine Bombe.
Es dauerte bestimmt eine Minute, ehe er sich wieder gefasst hatte.
Er, der seit fünfunddreißig Jahren Privatdetektiv war, seit mehr als zehn Jahren in den Diensten Turners, war bisher durch kaum etwas aus der Fassung zu bringen gewesen. Auch wenn dies manchmal den Anschein gehabt hatte, das war alles nur Schauspielerei. Doch jetzt...
Er versuchte, die Lage zu analysieren.
Dass Parker nicht der Auftraggeber für diese Untat sein konnte, schien ihm klar.
Der würde sich wohl kaum der Gefahr aussetzen, sich oder sogar seinem Büroturm Schaden zuzufügen.
Nein! So dumm war der nicht.
Zumal beide vor gar nicht allzu langer Zeit eine Art Friedenspakt ausgehandelt hatten.
Er drehte sich um und bemerkte erst jetzt, dass er allein in diesem riesigen Büro war.
Er keuchte schwer auf dem Weg zum Schreibtisch, wo er die unterste Schublade offen fand. Dass da Turner seinen Revolver aufbewahrte, wusste er.
Und warum die Schublade offenstand, auch.
Ebenso klar war ihm, wohin Turner mit der Waffe unterwegs war.
Sollte er seinen Chef vor einer vorschnellen Reaktion und großen Dummheit bewahren?
Sicher würde Parker dasselbe annehmen, wie Turner.
Diese beiden Hitzköpfe!
Sie waren einmal Freunde gewesen.
Sie waren einmal Feinde gewesen.
Jetzt werden sie sich wohl gegenseitig umbringen.
Sanders setzte sich in den Sessel seines Chefs.
Sollten sie doch.
Sollte doch Parker Turner erschießen.
Oder umgekehrt.
Ihm war’s egal.
Beide hatten nichts anderes verdient.
Er würde sich nicht mehr einmischen.
Dafür hatte er zu oft den Kopf hingehalten.
Dafür hatte er zu oft geblutet.
Für Turner, dessen Ungeduld und Unbeherrschtheit.
Für Parker, dessen Unbeherrschtheit und Ignoranz.
Er war meist derjenige gewesen, der den Krieg zwischen den beiden und deren Folgen hatte ausbaden müssen.
Sanders hatte zu oft die Drecksarbeit für Turner erledigen müssen, als dass er sich jetzt darum Sorgen machte, ob sein Boss nicht irgendeine Dummheit beging.
Irgendeine, die ihm, sollte er sie überleben, mit hundertprozentiger Sicherheit in den Knast bringen würde.
< Und diesmal, du verfluchter Despot, diesmal werde ich keinen Finger für dich rühren!>, dachte Sanders und lehnte sich fast genüsslich zurück. < Im Gegenteil!>, fügte er im Stillen noch hinzu, nachdem in ihm ein gravierender, alles verändernder Gedanken geboren war, der seine Stimmung plötzlich bis ins Himmelblaue aufhellte.
Aber nur für eine halbe Minute.
Dann hievte ihn die Neugier aus seiner bequemen Position und schleppte ihn zurück ans Fenster.
Und wieder einmal glaubte er kaum, was er sah.
24.
Parker sen. musste die Treppe nehmen, um hinunter zu kommen.
Der Strom war ausgefallen. Die Aufzüge fuhren nicht.
Auf den Treppen traf er einige seiner Angestellten, die er anblaffte, sie sollten wieder zurück an die Arbeit.
Seine Wut, die immer höher kochte, beflügelte ihn regelrecht.
Er wusste, dass Turner der Urheber dieser Tat war. Er wusste, dass der das extra so gedreht hatte, dass seine Substanz ebenso beschädigt wurde, damit es nicht auffiel.
Noch eine Etage. Dann war er unten.
Er fegte durch den Hauptausgang, der voller Qualm war.
Vor der großen verglasten Doppelschwingtür blieb er stehen und schaute sich den Krater an, den die Bombe verursacht hatte.
Zwei Sekunden Fassungslosigkeit, dann hatte ihn die Wut wieder und er stapfte durch die umherliegenden Trümmer zu Turners Gebäude.
Wenige Meter vor seinem Ziel sah der seinen Widersacher durch die ebenfalls verglaste Doppeltür kommen.
Auch Turner trug in der Hand einen Revolver.
Als er Parker sah, zielte er sofort auf den.
Als Parker das sah, hob er ebenfalls die Waffe.
Beiden gingen in wütenden Schritten aufeinander zu.
Soweit, bis sie sich gegenseitig die Pistolen an den Kopf halten konnten.
Einige Leibwächter der Garde sowohl Turners als auch Parkers kamen hinzu und beobachteten die Szenerie.
Da standen zwei alte Männer, außer sich vor Wut und hielten sich gegenseitig die Waffen an den Kopf.
Wäre der Hintergrund nicht so tragisch, würde das alles ziemlich lächerlich wirken.
Und zum ersten Mal seit langer Zeit, taten es die Gorillas beider Parteien ihren Chefs nicht nach.
Sie ließen die Waffen stecken und warteten darauf, dass etwas geschah.
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